Predigt zum Karfreitag am 10.April 2009 von Bischof Dr. Wolfgang Huber
Predigt zum Karfreitag am 10.April 2009 von Bischof Dr. Wolfgang Huber
Bischof Dr. Wolfgang Huber
Predigt am Karfreitag, 10. April 2009
St. Marien, Berlin
Johannes 19,16-23
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen
I.
Jesus Christus ist tot. Das ist die Nachricht von Karfreitag. So kurz lässt es sich sagen. Eine Todesnachricht. Ein Name und die schroffe Ansage vom Ende.
Jesus Christus ist tot. Wir kennen solche Nachrichten. Manche eher aus der Ferne: Der Nachbar ist tot. Die ehemalige Mitschülerin ist tot. Die Frau des Bäckers ist tot. Oder ganz aus der Nähe: Die Freundin ist tot. Der Bruder ist tot. Der Vater ist tot. Aus der Zeitung, durch einen Anruf, bei einem Gespräch erfahren wir es: den Namen und die Ansage vom Ende.
Er ist tot. Das, was wir mit ihm erlebt haben, ist zu Ende. Das, was er uns bedeutet hat, kann nicht fortgeschrieben werden. Das, was wir mit ihm noch zu erleben hofften, wird ungeschehen bleiben. Solche Gedanken schließen sich an jede Todesnachricht an. Bilder entstehen, Erinnerungen tauchen auf, Fragen melden sich – wie es zu diesem Tod kam, was für dieses Leben kennzeichnend war, was man einander bedeutet hat. Ungesagte Worte rufen wir dem Toten nach; unausgesprochene Gebete denken wir ihm zu. Oft ist der Überbringer einer Todesnachricht der erste Gesprächspartner für solche ungesagten Worte und nachgetragenen Gebete.
II.
Der Überbringer der Todesnachricht am Karfreitag ist für uns heute der Evangelist Johannes. Wir haben seine Nachricht in der Evangeliumslesung gehört. Die Choräle aus Bachs Johannespassion haben diese Nachricht aufgenommen, vertieft und verstärkt. Der Evangelist Johannes trägt diese Nachricht schon in zweiter Generation weiter. Doch die Art, wie er die Ansage: „Jesus Christus ist tot!“ verarbeitet, ist dem Erleben der ersten Stunde ganz ähnlich.
Pilatus gab ihn hin, dass er gekreuzigt würde, und so geschah es. Sie kreuzigten ihn und nach quälenden Stunden neigte er sein Haupt und verschied.
Doch damit ist für den vom Tod des Herrn erschütterten Evangelisten noch nicht alles gesagt. So sachlich und nüchtern darf der Tod nicht sein, so darf man ihm nicht das letzte Wort lassen. Die Zeit muss stehen bleiben, oder wenigstens ausgedehnt und gefüllt sein, wenn der Gesandte Gottes, der Sohn Gottes stirbt, der, auf dem alle Hoffnung liegt, der, an dem die Rettung der Welt, die Versöhnung mit Gott hängt.
So beginnt Johannes, das Geschehen auf Golgatha mit Szenen und Bildern zu umgeben, die zu Jesus gehören, die ihn ausmachen und den Horizont zeigen, in den er gehört. Das Kreuz, das Symbol der Verlassenheit und des Verstummens, wird zum Schauplatz für ein bewegtes Treiben zu Füßen des Gekreuzigten. Drei Szenen ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich.
Mit Pilatus beginnt es, der Jesus im Verhör kennengelernt hat und ihn für unschuldig hält, den die Antworten des Angeklagten überraschten, wenn nicht sogar überzeugten. Dieser Pilatus tritt ans Kreuz. Ein Schild hat er dabei, das seine Sicht der Dinge festhält, ein Schild, das die Widersinnigkeit dieses Todes ansagt: Jesus von Nazareth – König der Juden. In drei Sprachen prangen diese Worte über dem Kreuz. Niemand soll sagen, er habe davon nichts gewusst. Nicht als Anklageschrift dient diese Tafel, sondern als weithin sichtbare Feststellung.
Sie soll deutlich machen: Pilatus erkennt nicht, was dieser Mann Todeswürdiges getan haben soll, den er nur auf das Drängen anderer und mit Rücksicht auf die eigene Karriere dem Kreuzestod ausgeliefert hat. Aber er versteht wohl auch nicht, dass er mit diesem Schild seinerseits zum Werkzeug Gottes wird. Pilatus wird zum ersten Zeugen. Er selbst verkündigt und deutet den Tod Jesu. Er weist die Welt darauf hin, was hier geschah. Jesus ist tot; dieser Tod wird in der ganzen Welt bekannt werden. Jesus, der auf einem Esel als sanftmütiger König in die Stadt einzog, dieses Gegenbild zu jedem Potentaten, wird nun vor aller Augen erhöht. Als König zeigt er sich auf paradoxe Weise: am Kreuz. Auch noch im Tod erweist sich Jesus als König, als Repräsentant seines ganzen, von Gott geliebten Volkes.
Eine zweite Szene unter dem Kreuz will der Evangelist unbedingt festhalten, so grotesk sie auch ist: Vier Soldaten, haltlos in ihrer Gier, abgestumpft durch Gewalt und Tod, die sich täglich mit ihrer Arbeit verbinden, ohne Ehrfurcht für die Opfer ihres Tuns, wenden sich dem Nachlass zu. Kleider und ein Gewand gilt es zu verteilen. Die Kleider werden zerschnitten, das Gewand verlost. Sie wissen nicht, was sie tun. Sie wissen nicht, wessen Besitz sie untereinander aufteilen. Sie wissen nicht, dass sie damit die Schrift erfüllen. Sie wissen nicht, dass sie Teil eines Geschehens sind, das sich auf den Spuren der langen Geschichte Gottes mit seinem Volk bewegt und an die Grundfesten der Geschichte überhaupt rührt. Jesus ist tot; dieser Tod entspricht dem Heilsplan Gottes für die Welt. Auch noch diejenigen, die ihn verachten, bezeugen, dass sich in ihm Gottes Heilsplan erfüllt.
Zu guter Letzt nimmt Johannes die Erinnerung an Jesu Leben auf, an die Menschen, die ihm nahe waren. Noch einmal zeigt sich seine Liebe zu den Menschen, seine Fürsorge und Nähe. Die Mutter, Verwandte und Freunde stehen dort, bleiben bei ihm in der Todesstunde. Ihnen wendet Jesus sich zu. Was die Soldaten in seiner Nähe trieben, hat ihm kein Wort entlockt. Aber der Anblick derer, die ihm nahe stehen, weckt ein letztes Mal seine fürsorgende Kraft. Er weist sie aneinander: „Passt aufeinander auf, nehmt einander an wie Mutter und Sohn. Lasst durch den Tod keine Lücke entstehen; tragt die Liebe weiter, die ich euch gegeben habe. Gebt dem Tod nicht das letzte Wort, sondern haltet euch an meine Worte und liebt einander, wie ich euch geliebt habe.“ Jesus ist tot; dieser Tod setzt Liebe frei. Darin setzt sich das Zeugnis Jesu fort.
III.
Drei Szenen, drei Botschaften.
Die Tafel, die Pilatus am Kreuz anbringt, macht deutlich: Auch noch im Tod zeigt sich Jesus als König, als Repräsentant seines ganzen, von Gott geliebten Volkes.
Die Soldaten, die um Jesu Gewand das Los werfen, bezeugen ungewollt: Auch noch diejenigen, die Jesus verachten, bezeugen, dass sich in ihm Gottes Heilsplan erfüllt.
Und der Dialog mit der Mutter und dem Lieblingsjünger stellt uns bewegend vor Augen: Dieser Tod weckt Liebe; darin setzt sich das Zeugnis Jesu fort.
Wie viel leichter lässt sich der Sinn des Todes Jesu in lebendigen Szenen begreifen als in bloßen Begriffen! Von diesen Szenen her lässt sich aber doch verstehen, in welchem Sinn wir den Tod Jesu als ein Opfer verstehen können. Nicht als ein Opfer, das Gott verlangt, damit er Wiedergutmachung empfängt für die Sünde der Menschen. Sondern als ein Opfer, das Jesus selbst bringt, ein Zeichen der Sündenvergebung, das niemals mehr übersehen werden kann. Deshalb wird er ans Kreuz erhöht, deshalb ist eine Hügel vor der Stadt der Kreuzigungsplatz, deshalb verkündet eine Tafel, was da geschehen ist: Der Repräsentant des Volkes, einer, der für die anderen steht, hat sich dahingegeben, damit alle gerettet werden. Nicht Gottes Zorn, sondern unser Ungehorsam wird versöhnt, das ist der Sinn des Lebensopfers Jesu.
In diesem Tod versammelt sich deshalb die Sprachwelt und Glaubenswelt des Volkes Israel und seiner Bibel. Alte Opfervorstellungen werden aufgenommen, denn sie sind ans Ziel gekommen. Deshalb wird der Tod Jesu auch mit dem Bild vom Sühnopfer erläutert. Dadurch wird deutlich: Um seines Todes willen und dank seiner Auferstehung von den Toden werden keine Menschen mehr dahingeopfert – um Gottes willen nicht! Das Ende alles Opferzwangs wird ausgerufen; niemals mehr sollen Henker ein ungenähtes Gewand verlosen.
Vor allem aber: Ein Zeichen der Liebe wird aufgerichtet. Denn dafür steht das Zeichen des Kreuzes bis zum heutig
en Tag. Ich mag nicht so hart über die urteilen, die das Zeichen des Kreuzes um den Hals tragen, ohne sich darum besondere Gedanken zu machen. Denn auch sie machen sich, vielleicht sogar ungewollt, mit einem Zeichen der Liebe vertraut: Siehe, das ist dein Sohn; siehe, das ist deine Mutter. Nehmt einander an.
Eine Tochter hat sich von ihren Eltern getrennt, so wird mir in diesen Tagen erzählt. Welch eine Passion! Ins Leere läuft die Zusage: Siehe, das sind deine Eltern. Siehe, das ist eure Tochter. Wer geht den ersten Schritt? Wer lässt sich ein auf das Zeichen des Kreuzes, in dem sich unsere Lebenswege berühren und um Jesu willen treffen?
Um der Liebe willen stirbt Jesus. Doch wo bleibt die Liebe? Allzu oft wird sie ein Opfer der Gewalt. Auch in diesen Ostertagen schweigt die Gewalt nicht; wir wissen das. Auch wenn es sich um andere Länder handelt, sie rückt uns nahe. Denn wir Deutschen tragen kräftig dazu bei, dass sie sich ausbreitet. Als „Europameister des Waffenexports“ wurde unser Land in diesen Tagen bezeichnet; für mich wurde das zu einer Karfreitagsnachricht.
Von einem Jahr zum andern hat sich die Ausfuhr von Waffen aus Deutschland um dreizehn Prozent erhöht. Nun rangiert unser Land in dieser Art von Geschäften direkt hinter den USA und Russland, vor allen anderen europäischen Ländern. Krisengebiete unserer Erde werden dabei nicht ausgespart; eines Tages müssen Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz unter Umständen die Gewalt unterbinden, die mit deutschen Waffen verübt werden soll. Ein paradoxer Gedanke. Dass Deutschland „Exportweltmeister“ ist, braucht sich nicht gerade an Rüstungsexporten zu zeigen – ganz im Gegenteil. Denn unsere Aufgabe ist es, der tötenden Gewalt zuvorzukommen, nicht den Tod durch Waffengewalt herbeizuführen.
Es gibt Situationen, in denen einer die Folgen der Liebe am eigenen Leib zu spüren bekommt, ja für andere sein Leben lässt. Das bedenken wir am Karfreitag; denn Jesus gab sein Leben um der Liebe willen hin. Doch unsere Aufgabe ist es, dem Tod zuvorzukommen, nicht ihn herbeizuführen. Deshalb weist Jesus uns aneinander.
Siehe, das ist dein Sohn. Siehe, das ist deine Mutter. Amen.
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